Der legendäre Lehrer
Der legendäre Lehrer

Der legendäre Lehrer

Kapitel 4

Der legendäre Lehrer

 

Grundierung

Da zurzeit keine Schulkinder in meiner Zeltschule auftauchen, setzt mich FSL ganz gerne mal spontan in anderen Projekten ein. Oft muss ich also im Garten beim Kompost mithelfen und Blätter von Ästen abrupfen. Eines Tages beauftragte FSL eine Gruppe von unbeschäftigten Freiwilligen zwei selbstgemachte Wandgemälde an einer bestimmten Schule zu pinseln. Diese zwei Werke sollten bestimmte Werte wie Nachhaltigkeit und Recycling beinhalten, um den Kindern ein Bewusstsein für Natur und die Reduzierung von Müll zu schaffen. Ich war durchaus überrascht, dass die Schulleitung ihr vollstes Vertrauen FSL schenkte, und FSL wiederum ihr vollstes Vertrauen uns überforderten Amateur-Freiwilligen schenkte, dass auf diesen Wänden ein seriöses, pädagogisch-wertvolles Gemälde entstehen sollte. Es hätte so viel schief gehen können, denn das Risiko war enorm, dass ich das Graffiti mit meiner künstlerischen Inkompetenz zerstören würde; denn das letzte Mal, wo ich einen Pinsel in der Hand hatte, war in der 7. Klasse in der Schule.

Save our Earth

Zu meinem Erstaunen zauberten wir wie per Geisterhand eines der schönsten Wandmalereien unseres Jahrhunderts, auch wenn dessen Message „Save our earth“ unkonkret, unverständlich und oberflächlich ist. Tatsache ist, dass jetzt kleine, unschuldige 12-jährige Schüler und Schülerinnen mit unserem lehrreichen, inhaltslosen Bild täglich konfrontiert und von dessen Botschaft indoktriniert werden. Die Schule war dennoch begeistert, FSL war demnach glücklich und die Freiwilligen feierten ihren Erfolg.

 

 

Wallpainting number 2

In der nächsten Woche wurde ich in derselben Schule eingestellt, um den Unterricht zu beobachten, damit ich mir ein paar nützliche Methodiken für die Zeltschule abschauen und kopieren konnte. Ich lief an unserem Graffiti vorbei, trat in das Lehrerzimmer ein und wurde freundlich zu einer fleißigen Klasse geführt, die schon in eine Kannada-Lesson vertieft war. Nachdem ich reingeplatzt kam, schauten mich etwa 30 knopfgoldige Augenpaare von in Schuluniform gekleideten Schülern an und mir wurde auf der Stelle erwartungsvoll ein Englischbuch in die Hand gedrückt. Das war ein gewaltiges Missverständnis. Ich weiß nicht was FSL der Schulleitung erzählt hat, aber ich bin leider ohne Lehramtstudium nicht fähig kleinen Kindern etwas beizubringen. Mit peinlich berührtem Lächeln und einem Spannungspausen-überbrückenden Räuspern, versuchte ich unauffällig mit dem Lehrer zu kommunizieren, der mich in das Klassenzimmer gelotst hatte. Zu meinem Pech sprach er noch weniger Englisch als meine Schüler. Nachdem ich verwirrt erklärte, dass ich eigentlich nur den Unterricht beobachten wollte, verließ der hilfsbereite Lehrer selbstverständlich den Raum. Ich blickte zu den Jungs auf der rechten Seite des Klassenzimmers, dann zu den Mädchen auf der anderen Seite, und zuletzt auf mein Englischbuch, in der Hoffnung, dass mir etwas spontan einfällt den Unterricht aus dem Ärmel zu schütteln. Trotz des unangenehmen, überraschenden Missverständnisses überlebte ich den Sprung ins kalte Wasser und konnte sogar den Unterricht mit meinen Schülern genießen. Das Unterrichten traf insofern meine Erwartung, dass die Schüler motiviert sowie offen für Neues sind und dass sie viel Respekt vor dem Lehrer an der Tafel haben; man sollte nur Emotionen wie Angst und Schüchternheit verbergen, Autorität ausstrahlen und einfach selbstbewusst den Unterricht halten. Ich hatte wirklich Spaß am Lehrer-spielen. Es erinnerte mich an meinen leidenschaftlichen Englischlehrer in der Oberstufe.

Auf der Suche nach Regenwürmern

 

Schule

Und so lief ich von Klasse zu Klasse. Je jünger die Schüler waren, desto kürzer ist ihre Aufmerksamkeitsspanne. Je später die Stunde am Tag ist, desto unkonzentrierter sind die Kinder. So kam es, dass ich in eine der jüngsten Klassen spazierte. Aus Gewohnheit schrieb ich schonmal meinen Namen an die Tafel, damit die Kleinen mich auch ansprechen konnten. Schnell begriff ich, dass ihr Wortschatz noch nicht vorangeschritten war; und als ich alle zum Sprechen animieren wollte, kippte die Situation und mir wurde bewusst, dass ich alle zum Schreien animierte hatte. Das Hauptproblem lag darin, dass die Schüler bei jeder Frage aufstehen müssen, um zu antworten. Und wenn man schonmal steht, dann ist es durchaus verlockend durch den Raum zu laufen und sich anders zu beschäftigen. Somit brauchte es nicht mehr lange bis es jedem dämmerte, dass ich unerfahrener Lehrer kein Durchsetzungsvermögen besaß und nichts gegen das wie eine Kettenreaktion ausbreitende Durcheinander unternehmen konnte. Die erste neue Vokabel, die ich den frech grinsenden Schülern beibringen wollte, war „Silence“. Auch den Befehl „Sit down“ schrieb ich innerhalb weniger Minuten an die Tafel. Dicht gefolgt von dem Ausdruck „Be fair to your classmates“. Nachdem ich ihnen „Please listen“ ans Herz legte, stieg der Geräuschpegel kontinuierlich und Chaos brach aus. 30 ungebändigte unter Ecstasy-Einfluss hüpfende Flummis verselbstständigten sich, rannten umher und rauften sich in kleinen Grüppchen. Mit nur einem kurzen Blick auf die goldigen Pupse mit riesigen, braunen Knopfaugen und einem frechen Grinsen mit etlichen Zahnlücken sowie schiefen Zähnen packte mich das Süß-Empfindungs-Syndrom und ich wurde komplett außer Gefecht gesetzt. Ich war unfähig auch nur einmal zu schimpfen. Als ich mich wieder zu der Tafel kehren wollte, wurde sie schon von fünf kleinen Mädchen vehement erobert; sie kopierten aufgeregt die Buchstaben meines Namens und kritzelten damit die ganze Tafel voll. Das war dann wohl meine Kariere als Lehrer. Ich habe leider nichts mit Autorität am Hut. Ich lehnte gegen einen der Tische, konnte meinen Augen nicht glauben und lachte leise in mich hinein, während eine andere Gruppe übermotivierter Kids mich entweder auf Kannada anbrüllte, mir mit Kreidestaub eine weiße Nase verpassen wollte oder mir leicht in die Rippen boxte. Auch wenn ich aus diesem Klassenzimmer floh, meinen Rucksack packte und panisch zum Bus rannte, ich werde sie alle vermissen.

Indischer Trockner

to be continued…