Getting Lost (2025)
Diese ethnographische Interviewdokumentation untersucht im Rahmen des Projekts „Getting Lost“ (2025) den ambivalenten Kontrollverlust beim Sich-Verlieren. Im Fokus steht dabei der subjektive Kipppunkt zwischen freiwilligem und unfreiwilligem Sich-Verlieren – entweder als neugieriges Streben nach intensiven Erfahrungen oder als Konsequenz mangelnder Zugehörigkeit. Ausgehend von meiner persönlichen Faszination für das Phänomen des Sich-Verlierens und dem Wunsch, Gleichgesinnte zu finden, erforsche ich in explorativen, 30-minütigen Interviews mit meinen Forschungspartner:innen das Gefühl des Sich-Verlierens als Ausdruck von Freiheit oder Unsicherheit. Dabei beleuchte ich, wie sich dieser Zustand in der Spannung zwischen innerer Erfahrungswelt und sozialem Kontext entfaltet und als Teil der Identitätsfindung erlebt wird. Mit diesem Film hoffe ich, zur Phänomenologie des Sich-Verlierens und seiner unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen beizutragen.
Vorbilder des Projekts sind der autoethnographische Essayfilm „Where Can I Get Lost?“ (2024) von Prof. Mattijs van de Port und die Talking-Head-Dokumentation „Human – Die Menschheit“ (2015) von Yann Arthus-Bertrand.
Inhaltliche Zusammenfassung des Films
Basierend auf 30-minütigen Interviews mit insgesamt 20 Forschungspartner:innen (6 Stunden Filmmaterial) aus meinem persönlichen Umfeld in München, Heidelberg und Frankfurt, präsentiert der 20-minütige Film 12 facettenreiche Perspektiven zum Thema „Getting Lost“. Die 12 Forschungspartner:innen (7 weiblich, 5 männlich) setzen sich aus sieben Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit und sechs Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit zusammen (1 belgische, 3 chinesische, 2 indische Teilnehmer:innen). Die Altersgruppe reicht überwiegend von 22 bis 30 Jahren, mit einer Ausnahme von 46 Jahren.
In der ersten Hälfte des Films stellen die Protagonist:innen sich selbst vor, indem sie ihre persönlichen Erfahrungen des Sich-Verlierens schildern. Die Erzählungen verlaufen in einem fließenden Übergang: zunächst aus einer geographischen Perspektive (5 Personen), dann hin zu einem Verlust des Körpergefühls durch den Konsum von Halluzinogenen (1 Person), weiter zur Erfahrung von Ziellosigkeit (1 Person), und schließlich zu Schwierigkeiten im Umgang mit Identität und Zugehörigkeit (6 Personen). Der Film legt den Schwerpunkt bei den deutschen Forschungspartner:innen auf geographische Aspekte des Sich-Verlierens, während die ausländischen Forschungspartner:innen überwiegend Themen der sozialen oder kulturellen Neuorientierung beleuchten.
In der zweiten Hälfte reflektieren die Protagonist:innen ihre Erfahrungen und abstrahieren ihre Wahrnehmung des Phänomens des Sich-Verlierens. Trotz unterschiedlicher individueller Erlebnisse werden die meist ähnlichen Ergebnisse der Protagonist:innen miteinander in Dialog gesetzt. Dies geschieht in den thematischen Blöcken, die das Sich-Verlieren als Spannungsfeld zwischen Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit, als Möglichkeit des persönlichen Wachstums sowie als Phänomen der Gegenwart untersuchen. Aus der Gesamtheit der Forschungsergebnisse wird deutlich, dass das Phänomen des Sich-Verlierens bei einigen Forschungspartner:innen eine Faszination ausübt (7 Personen), von anderen neutral betrachtet wird (3 Personen) oder überwiegend mit negativen Erfahrungen verbunden ist (5 Personen). Dabei konnten keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf Geschlecht oder Nationalität identifiziert werden.
Ergebnis der Forschung
Der Film verdeutlicht den subjektiven Kipppunkt zwischen freiwilligem und unfreiwilligem Sich-Verlieren als ein Spiel mit Kontrolle und Kontrollverlust, in dessen Verlauf sich die eigene Identität dynamisch weiterentwickelt. Das Sich-Verlieren wird als ambivalentes Feld beschrieben, das gleichermaßen von Neugier und Faszination für das Unvorhersehbare wie auch von der Gefahr der Ausweglosigkeit und Ohnmacht geprägt ist. Rezipiert und konstruiert wird das Erlebnis des Sich-Verlierens von den Forschungspartner:innen in einer kohärenten Geschichte mit Anekdote, die wiederum als Identifikationsbaustein für die eigene Person registriert wird.